Die Fauna des Pantanal, einem Sumpfgebiet im Zentrum Südamerikas, das mit seinen etwa 230.000 Quadratkilometern halb so groß ist wie ganz Frankreich, ist nur wenig erforscht. Das soll sich mit dem Projekt „Tiere des Pantanal“ („Bichos do Pantanal“) ändern. Das besondere an dem Projekt: als zentrale Forschungsstation dient ein entsprechend ausgestattetes Schiff, das in den nächsten zwei Jahren den Rio Paraguay befahren wird, um von dort aus die Naturstudien zu betreiben. Um einen umfassenden Naturschutz zu gewähren sollen aber auch die Menschen, die in den Anrainergebieten des Flusses leben, mit Projekten zur Umwelterziehung, zum Öko-Tourismus und Kunsthandwerk sowie zur nachhaltigen Fischerei und Landwirtschaft eingebunden werden.
Das Pantanal ist eines der artenreichsten Biome der Welt. Im Bereich der Fauna wurden dort bisher 212 verschiedene Arten von Säugetieren und Amphibien, 656 Vogelarten, 98 Reptilienarten, 325 Fischarten registriert. Ein Heer von Wissenschaftlern und Biologen wäre notwendig, um all diese Tierarten auf einmal eingehender zu studieren. Angesichts dessen konzentriert sich das Projekt auf die Arten, die gefährdet oder vom aussterben bedroht sind, wie der Riesenotter (Ariranha bzw. Onça d’agua), der Fischotter (Lontra) und der Gefleckte Jaguar (Onça-pintada). Sie dienen als Indikatoren mit deren Hilfe Strategien für den Naturschutz und den Schutz der bedrohten Arten entwickelt werden sollen.
Forschung auf und unter dem Wasser
Die Untersuchungen beziehen sich auf den nördlichen Bereich des Pantanal, gelegen im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso, genauer gesagt auf die Umgebung des vorgenannten Rio Paraguay, einem Fluss, der von der Quelle bis zur Mündung mehr als doppelt so lang ist wie der Rhein. Auf dem brasilianisch-bolivianischen Grenzfluss wird das Forschungsschiff zwischen der brasilianischen Stadt Cáceres und dem Naturschutzgebiet Estação Ecológica de Taiamã pendeln. Unter der Leitung des amerikanischen Ökologen Douglas Trent und drei weiteren Wissenschaftlern sollen in den nächsten zwei Jahren vom Schiff aus Daten und Informationen gesammelt werden. Trent erforscht das Pantanal seit über 30 Jahren, will aber mehr wissen, zum Beispiel darüber wie und von was sich die bedrohten Tierarten ernähren, was ihre Lebensgewohnheiten sind und wie groß ihre Bestände sind. Um das herauszufinden, wollen die Wissenschaftler selbstauslösende Kameras am Ufer, in den angrenzenden Biotopen und sogar unter Wasser aufstellen.
Dass die Forscher den Gefleckten Jaguar vom Fluss aus beobachten wollen, mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen, hat aber seinen Grund. Anders als die meisten anderen Großkatzen ist der Gefleckte Jaguar keineswegs Wasserscheu. Im Gegenteil, er schwimmt und geht in Flüssen und Seen auf Beutestreifzug. Wasser ist deshalb ein wichtiger Bestandteil in seinem Lebensumfeld. Erfassen werden die Kameras aber ebenso den in kleinen Gruppen lebenden Riesenotter und den Fischotter, der in der Regel nachtaktiv ist. Beide sind, wie die europäischen Otter auch, auf Wasser angewiesen.
Filmmaterial und Fotos sollen auch dazu benutzt werden, die einzelnen Tiere zu identifizieren. So weist jeder Onça-pintada ganz charakteristische Flecken auf der Stirn auf, die wie Fingerabdrücke einzigartig sind. Die Riesenotter wiederum haben im Halsbereich Flecken, die zur Unterscheidung der einzelnen Tiere dienen können. Ein wenig schwieriger wird die Identifikation bei den Fischottern. Sie haben keine offensichtlichen Unterscheidungsmerkmale. Zudem sind sie scheuer als andere Tierarten. Aufschlüsse über deren Bestand erhoffen sich die Wissenschaftler dennoch. Hier setzen sie auf die Unterwasserkameras.
Mit zusätzlichen Tonaufnahmen sollen die Vögel bedacht werden. Sie lassen sich unter anderem auch durch ihren Gesang unterscheiden. Zudem kann dieser je nach Jahreszeit unterschiedlich ausfallen, abhängig davon, ob der Vogel in der Balz ist oder nicht. Wissen wollen die Wissenschaftler aber auch, welche Vögel ständige Bewohner des Pantanal sind, welche als Zugvögel in bestimmten Perioden zu Besuch kommen und welche Vögel das Pantanal nur zur Aufzucht der Nachkommen auswählen. Die Liste der vorgesehenen Untersuchungen ist groß. Fische sollen via Angel und Netz gefangen werden, um die verschiedenen Arten fotografieren zu können und um sie auf ihren Gesundheitszustand hin zu untersuchen, auch um herauszufinden ob und mit welchen Parasiten sie befallen sind. Nach der Untersuchung werden sie natürlich wieder im Fluss freigelassen.
Der Mensch im Pantanal
Auch der Mensch spielt eine zentrale Rolle in dem Projekt, auch wenn der Titel „Tiere des Pantanal“ lautet. Ist es doch der Mensch, der mit seinen Kahlschlägen der Wälder, der Verschmutzung der Flüsse, der Bejagung der Tiere, der Ausbeutung der Natur zum Rückgang der Tiere beiträgt. Das Projekt begnügt sich deshalb nicht mit einer bloßen Bestandsaufnahme. Vielmehr sollen die Anlieger des Flusses eingebunden werden, das fängt bei der Umwelterziehung an, geht aber hin bis zur Schaffung neuer Einkommensmöglichkeiten.
Vorrückende Monokulturen zum Beispiel mit Soja, die Industrialisierung und auch die Abwanderung der jüngeren Menschen in die Städte, sind Probleme unter denen viele Schutzgebiete leiden. Je mehr Menschen abwandern, desto weniger Kontrolle über die Einhaltung der Naturschutzgesetze und über die Zerstörung wird es geben. Das Pantanal ist ein riesiges und nur mit wenigen Strassen durchzogenes Gebiet und schon allein deshalb schwer zu kontrollieren. Die Mithilfe der Anwohner ist deshalb besonders wichtig.
Um eine weitere Abwanderung zu verhindern, sollen neue Arbeitsplätze geschaffen werden unter anderem im Bereich Tourismus, aber auch beim Kunsthandwerk. Gedacht ist, Partnerschaften zwischen privaten und öffentlichen Initiativen zu schaffen und Kooperationen zu bieten. Nach dem Motto, der Mensch schützt nur das, was er kennt, sollen die Kinder in den Schulen der angrenzenden Gemeinden mit Aktivitäten zur Umwelterziehung die Natur kennen und schützen lernen. In der Stadt Cáceres soll darüber hinaus das Programm „Naturverbindung: Kennenlernen, um zu schützen – eine Lebensaufgabe“ installiert werden. Hierbei geht es darum, Anwohner, Fischer und Kleinlandwirte aufzuklären, ihnen den Wert ihres Lebensumfeldes aufzuzeigen, die Natur näher zu bringen und ihnen neue Wege aufzuweisen. Absicht ist es, eine Art Netzwerk zu schaffen, in dem alle zusammenarbeiten. Unter anderem sollen aber auch Naturwarte und Touristenführer ausgebildet werden.
Das erst im September gestartete Projeto Bichos do Pantanal wird vom „Instituto Sustentar de Responsabilidade Socioambiental“ in Partnerschaft mit verschiedentlich staatlich finanzierten Unternehmen wie den Erdölmulti Petrobras getragen.