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Der Tuiuiú

Veröffentlicht am 2. September 2012 - 10:39h

Im Pantanal – dessen Symbol der Tuiuiú ist – wurden 656 verschiedene Vogelarten klassifiziert und registriert – mehr als in ganz Europa – und deren grösster, flugfähiger Repräsentant ist der Jabiru (Jabiru mycteria), ein Storchenvogel, den die lokalen Bewohner des Pantanal volkstümlich “Tuiuiú“ nennen (ich betone “flugfähig“, denn sonst wäre wohl der noch schwerere, aber flugunfähige, Nandu (Rhea americana), ein mit dem afrikanischen Strauss verwandter Laufvogel, der grösste Repräsentant der Pantanal-Vogelwelt).

Sie werden es erleben, wie Ihnen das Herz höher schlägt, wenn Sie zum ersten Mal einem Tuiuiú in seinem Habitat begegnen – das heisst, meistens sind sie sogar paarweise anzutreffen, denn haben sie sich mal gefunden, schliessen sie einen Bund fürs Leben. Das auffallendste Merkmal dieser grossen Vögel ist der Kontrast zwischen dem schwarzen Kopf, mit dem unbefiederten, ebenfalls schwarzen Hals, und dem weissen Federkleid des übrigen Körpers. Der Halsansatz, vor der Rumpfbefiederung, ist durch einen etwa handbreiten, leuchtend roten Ring gekennzeichnet. Der Vogel hat lange Beine, ideal zum Fischen im Flachwasser. Die Flügelspannweite ausgewachsener Tuiuiús kann 2,60 Meter übertreffen, und die männlichen Exemplare können bis zu 10 Kilogramm wiegen. Während der Trockenperiode im Pantanal kann man sie sogar in grösseren Gruppen erleben, die gemeinsam in den zurück gebliebenen Lagunen nach Fischen, Mollusken und Krustentieren suchen.

Hier ein kurzer Steckbrief des Tuiuiú:
Deutsche Bezeichnung: Jabiru
Englische Bezeichnung: Jabiru stork
Volkstümlicher Name in Brasilien: Tuiuiú (und Jaburu)
Wissenschaftlicher Name: Jabiru mycteria
Klasse: Vögel
Ordnung: Ciconiformes (Storchenartige)
Familie: Ciconiidae
Habitat: Überschwemmungs- und Sumpfgebiete
Grösse: bis zu 1,60 m
Schnabellänge: 30 cm
Flügellänge: 70 cm
Flügelspannweite: Bis zu 2,80 m
Schwanzlänge: 20 cm
Gewicht: Bis zu 10 kg

Den Jabiru (er wird nur im Pantanal “Tuiuiú“ genannt) findet man vom Norden Brasiliens bis hinunter nach São Paulo, Santa Catarina und Rio Grande do Sul – von Mexiko bis Paraguay und dem Norden Argentiniens – aber die Heimat seiner grössten Populationen ist das brasilianische Pantanal und der westliche Chaco von Paraguay. Besonders in den brasilianischen Bundesstaaten Mato Grosso und Mato Grosso do Sul findet man mehr als die Hälfte seiner Weltpopulation, und so hat er sich zum Pantanal-Symbol entwickelt. Grosse Verbände leben auch im Bundesstaat Goiás und am Rio Araguaia und seinen benachbarten Seen. Sein Name “Jabiru“ kommt aus der indigenen Tupi-Guarani-Sprache und bedeutet “Geschwollener Hals“ – was besonders deutlich wird, wenn der Vogel seinen Kropf mit Nahrung für die Jungen füllt.

Der Jabiru gehört zur Familie der Störche, und wie ein Storch fliegt er mit gestrecktem Hals und ausgestreckten Beinen, im Gegensatz zu den Reihern, die ihren Hals während des Fluges einrollen. Ihn beim Starten oder Landen zu beobachten, ist ein Erlebnis besonderer Güte – wegen seines relativ grossen Gewichts braucht er einen langen Anlauf, bis die heftig schlagenden Flügel den nötigen Schub vermitteln, und die aufsteigenden Warmluft ihm genügend Auftrieb gibt – ähnlich interessant ist die Landung, bei der er mit “ausgefahrenem Fahrwerk“ den Boden berührt und dann durch den Schub noch einige Meter weit “ausrollt“. Ein herrliches Schauspiel für die Kamera. Und weil ihm ein Flugstart relativ schwer fällt, zieht er es vor, sich in den meisten Fällen “zu Fuss“ aus Gefahrenbereichen zurückzuziehen – nur in absoluten Notfällen sucht er sein Heil in fliegender Flucht. Erst einmal in der Luft, ist er allerdings ein überaus eleganter Flieger, der Hunderte von Kilometern zurücklegen kann. Solche längeren Entfernungen nimmt er auf sich, wenn sich die lokalen Bedingungen ändern – zum Beispiel durch die alljährliche Überschwemmung des Pantanal, wodurch auch seine Nahrungsquellen in Mitleidenschaft gezogen werden.

Der Jabiru ernährt sich von Fischen, Schnecken und jungen Kaimanen – aber er frisst auch gelegentlich Insekten und kleinere terrestrische Wirbeltiere. Er erkennt seine Nahrung eher durch Kontakt mit dem Schnabel, denn mittels seiner Augen. Er durchforscht das flache Wasser mit seinem offenen Schnabel in einem Winkel von 45 Grad zur Wasseroberfläche. Wenn er in Kontakt mit einem Beutetier kommt, schliesst er den Schnabel blitzschnell, zieht die Beute aus dem Wasser und wirft seinen Kopf zurück, um es zu verschlingen. Er ist ein Gelegenheitsfresser. Als zum Beispiel die Mäuse auf einer Fazenda überhand nahmen und eine wahre Schädlingsexplosion in der Plantage verursachten, konnte man einige Hundert Jabirus zwischen den Pflanzen beobachten, die die Mäuse dezimierten.

Die Fortpflanzungsperiode der Jabirus fällt zusammen mit dem Ablaufen des Hochwassers, einem Moment, in dem viele Fische in den zurück bleibenden Lagunen und Rinnsalen gefangen sind, die sich nur zu leicht fangen lassen. Während dieser Zeit sind der “Muçum-peixe“ (Symbranchus marmoratum) – er ähnelt der bekannten Muräne – und der “Traíra“ (Hoplias malabaricus) die bevorzugten Beutefische zur Fütterung seiner Jungen – auch die grosse “Caramujo aquático“ (Pomacea) ist ein beliebter Leckerbissen.

Das Nest des Tuiuiú stellt die grösste von Vögeln konstruierte Struktur im Pantanal dar. Manchmal findet man eine Gruppe von bis zu sechs solchen Nestern. Sie befinden sich ausschliesslich auf den höchsten Bäumen mit glatten Stämmen und hohem Astansatz, um zu verhindern, dass Nesträuber, besonders Schlangen, der Brut gefährlich werden können. In der Regel quartieren sich verschiedene Sitticharten im unteren Bereich des riesigen Nestes von zirka 1,85 m Durchmesser und 70 cm Höhe ein, die den Tuiuiú-Eltern als praktische “Warnanlage“ dienen, denn sie erheben ein ohrenbetäubendes Geschrei, wenn sich ein Feind nähert – auch wenn es zum Beispiel ein Raubvogel sein sollte.

Das Nest wird von dem “Besitzerpaar“ Jahr für Jahr wieder benutzt – vor dem Wiedereinzug wird es gesäubert und mit neuem Astwerk ausgebessert. Die Höhe über dem Boden ist unterschiedlich, je nach der Vegetationsart des Ortes – als durchschnittliche Höhe kann man 11 Meter annehmen, es gibt jedoch Beispiele 20 Metern und mehr. Die äussere Verkleidung des Nestes besteht aus dickeren Zweigen, die im Innern mit Gras und Wasserpflanzen ausgepolstert sind.

Wenn die Beiden in Kopulier-Stimmung sind, präsentieren sie einen überaus herzigen Balztanz, bei dem sie ihre Schnäbel aneinander schlagen und ihre Hälse umeinander schlingen – dann leuchtet der Ring am Halsansatz in feurigem Rot, bedingt durch die beschleunigte Blutzirkulation.

Das Weibchen legt 4 weisse Eier ins Nest (selten 5), die über 60 Tage lang ausgebrütet werden – abwechselnd von beiden Partnern, die sich später auch die Aufzuchtsarbeit der Jungen teilen. Die verlassen das Nest im Alter von drei Monaten, und sie begleiten ihre Eltern während der ersten Flugversuche vom Boden aus bis zu einem Alter von sechs Monaten.

Wegen dieser relativ langen Brutpflege ist es selten, dass ein Elternpaar schon im folgenden Jahr erneut Junge aufzieht – in den meisten Fällen vergehen zwei Jahre bis zur nächsten Aufzucht. Die Vögel werden in freier Wildbahn bis zu 36 Jahre alt.

Jabirus sind relativ weit verbreitet, aber sie sind in keiner Region besonders zahlreich vertreten. Aus verschiedenen Gründen – an denen der Mensch den weitaus grössten Anteil hat – steht der Jabiru bei der IUCN auf der Liste als “least concern“ – ein geringfügig besserer Status als “fast bedroht“. In Belize hat man den Vogel bereits 1973 unter strengen Naturschutz gestellt – und tatsächlich haben sich dort die Populationen etwas erholt.

Je nach Lebensraum, den dieser Vogel in Brasilien bewohnt, hat ihm die lokale Bevölkerung die verschiedensten volkstümlichen Namen verpasst. So nennt man ihn in Mato Grosso “Tuiuiú, Jaburu, Tuim-de-papo-vermelho“ (Rothals Tuim) und im Amazonasbecken heisst er “Cauauá“. Im Süden Brasiliens bezeichnet man auch den dort häufig auftretenden Waldstorch oder Nimmersatt (Mycteria americana) als “Tuiuiú“.

Nun, ich hoffe, dass ich Sie mit der Vorstellung dieses majestätischen Vogels ein bisschen angeregt habe, ihn einmal persönlich kennenzulernen – oder besser: vor Ihre Kamera zu bekommen – aber nicht in einem Zookäfig, sondern in freier Wildbahn. Konzentrieren Sie sich mal auf das Pantanal in ihrem nächsten Urlaub – bei einer Brasilienreise für Naturliebhaber gehört diese Region in den Mittelpunkt der Planung!

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