Anlässlich eines Treffens mit einem anderen befreundeten Pantanal-Fischer, er hat den Spitznamen “Juca Boi” und unterhält seit Jahren ein Camp in der Region der Bahia da Figueira, einem Platz, “der sich etwa achtzig Kilometer von Cáceres, oberhalb am Fluss“ befindet, so hat er mir mal die Stelle beschrieben. Dort habe ich die Geschichte vom furchteinflössenden “Jaú de cabelo“ (einem haarigen Wels) gehört.
Wenn ich in meiner Freizeit mit dem Kanu unterwegs bin, um Tiere zu fotografieren und mir die Zeit mit Angeln zu vertreiben, lege ich stets auch Pausen bei den einen oder anderen Uferbewohnern ein, um ein Schwätzchen mit ihnen zu halten, ein paar Früchte zu kaufen und mich nach den besten Angelplätzen in ihrem Umfeld zu erkundigen. So bin ich auch eines Tages Juca begegnet, einem alten Fischer, der sehr abergläubisch ist und stets interessante “Contos“ aus den vielen Jahren seiner Fischerei zu erzählen weiss – Geschichten, die ich in die berühmte Kategorie “Anglerlatein“ einzuordnen pflege.
Diesmal wollte ich ein paar Tage in seinem Camp bleiben. Es war Mitte April, und das Abfliessen der Wassermassen, aus der alljährlichen Überschwemmung, war in dieser Region in vollem Gange. Immer wenn ich Juca besuche, den ich inzwischen zu meinen Freunden zähle, bringe ich ihm eine Flasche Cachaça mit, zwei Packungen Taschenlampenbatterien und ein paar Nahrungsmittel, denn ich werde von ihm stets sehr freundlich aufgenommen.
So auch diesmal. Nach zahlreichen Umarmungen und Schulterklopfen baute ich mein Zelt auf und beschäftigte mich gleich danach mit meinem Angelzeug, denn Juca hatte mir versichert, dass es in der Bucht von grossen Fischen nur so wimmele. Zuerst einmal galt es, mich mit Köderfischen zu versorgen. Ohne besondere Anstrengungen fing ich mit einem Netz mehrere Piaus, Curimbatãs und einige Pacu-pevas – alles in allem zirka vierzig kleine und etwas grössere Fischlein, die für die ganze Nacht reichen würden, denn während der Dunkelheit fängt man die nachtaktiven Grossen der Spezies Pintado (Pseudoplatystoma corruscans), Cachara (Pseudoplatystoma fasciatum), Pacu (Colossoma mitrei), Jaú (Zungaro jahu) und andere.
Ich legte ein paar Grundangeln an vielversprechenden Plätzen aus, und über dem “Poço do Acurí“, einer besonders tiefen Stelle der Strömung, befestigte ich eine robuste, flexible Bambusrute an einem überhängenden Ast, den grossen 12er Haken an einer 3mm-Schnur beschwerte ich mit einem Bleigewicht von 300 Gramm, damit er sich, trotz der Strömung, an der tiefsten Stelle halten würde, denn hier bestand die Chance, einen besonders grossen Pintado oder gar einen Jaú zu fangen.
Erst in der Abenddämmerung bestückten wir unsere Haken mit den Köderfischen. An meiner grossen Grundangel mit dem Zwölfer befestigte ich einen mittelgrossen Pacu-peva von schätzungsweise einem Kilo. Dann begaben wir uns zurück zum Camp, um erst nach Mitternacht wieder nach unseren ausgelegten Angeln zu sehen.
Um zwei Uhr in der Nacht wache ich auf und wecke Juca, um unsere Angeln zu kontrollieren. Wir haben vier Pintados von ordentlicher Grösse an den Haken und einen Jaú, der um die 20 Kilogramm wiegt. Als ich zu meiner Angel am “Poço“ komme und die Schnur aus dem Wasser ziehe, ist der Haken vollkommen aufgebogen – ein zwölfer Haken soweit offen, dass er fast eine gerade Linie bildet. Was für ein Riesenfisch muss das gewesen sein, der mir da entkommen ist!
Als ich Juca den aufgebogenen Haken zeige, sagt er: “Das war der Jaú mit den Haaren, der macht so was“, worauf ich entgegne, dass es keinen solchen “Jaú mit Haaren“ gibt, bemerke jedoch, dass ich meinen Freund mit dieser Behauptung verärgert habe. Also nehme ich mir vor, den Mund zu halten und eine diesbezügliche Diskussion lieber auf später zu verschieben.
Am frühen Morgen schaue ich nochmal nach meinen Angeln und entdecke einen weiteren Pintado, aber von meiner grossen Angel am “Poço“ fehlt jede Spur – diesmal hat ein grosser Fisch sogar die Angelrute vom Ast heruntergerissen und ist mit ihr verschwunden. Logisch, dass mich das einen Moment verwirrt, aber dann gewinnt wieder mein rationales Denken die Oberhand, und ich rede mir ein, dass alles nur ein Zufall ein kann.
Als ich Juca von diesem zweiten Vorfall berichte, da wird er plötzlich richtig wütend und schreit mich an, dass es sich unzweifelhaft um den “Jaú de cabelo“ handele, und dass ich mich bloss vorsehen solle . . . Schliesslich berichtet er mir von einigen “Tatsachen“, von Attacken dieses gefürchteten Fisches auf Menschen, beschreibt mir detailliert die Begegnung eines Freundes mit diesem Fisch, als er ins Wasser tauchte, um eine Angelschnur zu lösen, die sich an einem Baumstamm im Wasser festgehakt hatte… der Jaú griff ihn an, und Juca sprang ins Wasser um seinem Freund zu helfen, konnte aber nichts für ihn tun und sah ihn ertrinken – mit knapper Not entkam er selbst dem Angriff des “Jaú de cabelo“.
Ich weiss nicht, wie ich es richtig beschreiben soll, aber Juca wurde nach diesem Tag immer unruhiger – dann entschloss er sich plötzlich, von einer Stunde auf die andere, sich nach Cáceres abzusetzen – entschuldigte sich bei mir, dass er etwas vergessen hätte zu erledigen, und sein ganzes nervöses Verhalten signalisierte mir, dass er Angst hatte, Angst vor einem Mythos…
Ich blieb allein zurück. Ich blieb, weil mir dieser Platz gefiel, und weil mein anerzogenes rationales Denken mich vor solchen Monstern abschirmte, die darin keinen Platz hatten. In dieser zweiten Nacht schnitt ich mir eine Angel aus einem Holz zurecht, das man “Cachoá“ nennt, in grünem Zustand ist es praktisch unzerbrechlich, und befestigte sie dann mittels einer dicken Schnur und mehreren Knoten erneut an dem kräftigen Ast, der den “Poço“ überragte, verknotete auch die starke Angelschnur diesmal mit einem zehn Zentimeter langen Vorfach aus Stahldraht, an das ich einen 14er Haken hängte – allerdings fand ich eine solche Bestückung etwas übertrieben. In der Abenddämmerung schob ich einen grossen “Curimatã“, von fast zwei Kilogramm, als Köder auf den Haken. Es hatte mich gepackt – nun wollte ich unbedingt diesen “Jaú de cabelo“ fangen, obwohl mir meine Vernunft sagte, dass er nichts weiter war, als reine Folklore.
Am nächsten Morgen erkannte ich schon von weitem, dass ich keinen Fisch gefangen hatte, alles war ruhig, und am Haken hing noch ein Rest des Köderfisches, von beiden Seiten angefressen, wahrscheinlich von Piranhas. Auch in der dritten Nacht blieb die Angel leer, aber ich genoss meinen Aufenthalt, indem ich tagsüber mit meiner Kamera auf Vogeljagd ging und einen Pintado auf dem Grill zubereitete – Juca hatte mir zwei Dosen Bier dagelassen, die ich über Nacht zum Kühlen ins Wasser gestellt hatte.
Die letzte Nacht. Noch einmal senkte ich den 14er Haken, mit einem lebenden grossen Köderfisch bestückt, ins tiefe Wasser des “Poço Acurí“ hinab. Dann lag ich noch lange wach in meinem Zelt, lauschte dem an- und abschwellenden Chor der Frösche und dachte an die Legende um jenen uralten, gigantischen Wels, der Haare auf dem Kopf, um die Flossen und an anderen Partien seines Körpers haben soll, und der Menschen angreift, die in seinem Territorium schwimmen, an den tieferen Stellen eines Flusses. Viele Tote durch Ertrinken gehen auf das Konto des “Jaú de cabelo“, besonders jene Opfer, die nicht gefunden werden – so versichern die lokalen Bewohner, die Pantaneiros.
Am folgenden Morgen erkenne ich bereits an dem tiefer hängenden Ast, der gebogenen Angel und der gestrafften Schnur, dass sich ein grosser Fisch gefangen haben muss. Ich beginne die lange Schnur einzuholen und spüre das Gewicht, jedoch nur eine geringe Bewegung – der Fisch ist erschöpft, nachdem er wahrscheinlich stundenlang versucht hat, den Haken wieder loszuwerden. Völlig irrational stelle ich mir vor, den legendären “Jaú de cabelo“ am Haken zu haben, von mir, dem Gringo, gefangen, um ihn Juca und den anderen abergläubischen Fischern zu zeigen.
Plötzlich fängt der Fisch an, Widerstand zu leisten – die Nylonschnur gleitet mir rasend schnell durch die Finger und gräbt sich in die Haut ein – er macht einen Fluchtversuch… hält den Kampf aber nicht durch, und die Schnur lockert sich schon nach wenigen Sekunden wieder. Jetzt kann ich sie widerstandslos einholen und mir ansehen, was ich da am Haken habe. Es ist tatsächlich ein Jaú – ich schätze ihn auf sechzig bis siebzig Kilo – aber Haare hat er keine, nur die üblichen Antennen am Kopf, mit denen er seine Nahrung aufspürt. Weil ich noch zwei bereits eingesalzene Pintados habe, mache ich nur ein paar Fotos von dem Riesen, löse dann vorsichtig den Haken aus seinem Maul und schiebe ihn vom flachen Ufer wieder ins Wasser zurück – eines Tages werde ich einen noch viel grösseren fangen, und dann vielleicht den mit den Haaren.
Der “Poço de Acurí“ ist in der Region bekannt als idealer Angelplatz für grosse Welse – ich habe schon Exemplare gesehen, die mehr als 100 Kilogramm wogen – aber bis jetzt noch keinen einzigen mit Haaren.
Autor: Klaus D. Günther
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