In unserer Zeit der weltweiten Tierschutzbestrebungen ist es in erster Linie den lokalen touristischen Organisationen, ihrer kontinuierlichen Aufklärungsarbeit und Umwelterziehung zu verdanken, dass auch die Viehzüchter des Pantanals nicht nur im Umdenken begriffen sind, sondern einige sich bereits aktiv auf den Empfang und die Führung von Touristen durch die Natur umgestellt haben. Dass sie in diesem Fall auch den Schutz der Wildtiere gewissenhaft betreiben, versteht sich von selbst. Und wenn ich gerade keine Touristen durch die Landschaft führe, gehört es heute ebenfalls zu meinen Aufgaben, Fazendas und deren Besitzer, die meistens aus Bequemlichkeit, immer noch auf die Viehzucht setzen, mit Dokumenten und Statistiken zu beweisen, dass sie mit einem Engagement für den Tourismus viel besser dran wären.
Aber lassen wir mal den Zé Pedro weiter von seinem Vater erzählen: Es kam der Tag, an dem dieser scheinbar unerschütterliche, mutige Mann die Furcht vor dem Dschungel des Pantanals kennenlernte. Es geschah an einem Feiertag, dem Tag der “Nossa Senhora“ (Mutter Gottes), als ein Vaqueiro einer benachbarten Fazenda dem Zé Bento die Nachricht überbrachte, dass eine “Onça“ in der Nacht zuvor ein Kalb getötet und halb aufgefressen habe – man hoffe, dass er sich der Sache annehmen und die Raubkatze töten würde. Zé Bento machte sich sofort daran, seine Jagdutensilien zusammenzuraffen und die Trommel seines “Chimitão“ mit “Balas insprusivas“ zu laden (so bezeichnen die Pantaneiros Teilmantelpatronen, deren freiliegende Bleispitze sich nach Aufschlag im Körper des Opfers verformt oder splittert und so extreme Verletzungen verursacht).
Als er sein Pferd sattelte und die Hunde an die Leine nahm, machte ihn seine Frau darauf aufmerksam, dass sie es nicht für gut halte, am heiligen Tag der Gottesmutter auf die Jagd zu gehen und zu töten, aber als erfahrener Kriegsveteran, der schon viel zu viel Schlimmes erlebt hatte und an Übersinnliches keinen Gedanken verschwendete, zögerte er keinen Moment, sondern bestieg sein Pferd und ritt los in Richtung auf die Stelle, an der die “Onça“ das Kalb geschlagen hatte.
In einem kleinen Wäldchen nahm der Leithund die Spur des Jaguars auf – die Meute folgte ihm jaulend vor Jagdlust. Verschiedene Male sah er den Räuber auf seiner Flucht, ein aussergewöhnlich grosses, männliches Exemplar, aber immer wenn er sich nähern wollte, flüchtete das Tier mit Riesensprüngen. Nach einer längeren Verfolgung und dem andauernden Druck durch die hetzenden Hunde, begann der Jaguar zu ermüden, verkroch sich in ein Gebüsch voll dorniger Lianen und hockte sich am Rand eines Rinnsals auf den Boden, um Wasser zu schlecken.
Atemlos erreicht Zé Bento die Stelle, an der seine Hunde den Jaguar eingekreist haben und mit sich überschlagenden Stimmen verbellen. Die grosse Katze hat sich ins dornige Gestrüpp verkrochen, ab und an jault ein Hund auf, der sich zu weit vorgewagt hat und die scharfen Krallen des Raubtiers zu spüren bekommt. Zé Bento steigt hastig vom Pferd, und nähert sich gebückt mit gezücktem Revolver, um den tödlichen Schuss anzubringen… in diesem Augenblick bemerkt er die dunklen Umrisse mehrerer undefinierbarer Gestalten, die sich überall um ihn herum bewegen, und bei jeder Bewegung jault einer seiner Hunde vor Schmerzen laut auf. Zé Bento zielt auf den Jaguar, der ganz auf die Abwehr der geifernden Hunde konzentriert ist, und als er sicher ist, dass er die Katze nicht mehr verfehlen kann, drückt er ab – ein schreckliches Geheul nach dem Schuss zeigt an, dass er einen seiner Hunde getroffen hat, und er sieht, wie der Hund tot umfällt.
Also geht er noch näher ran und schiesst – weder rührt sich der Jaguar vom Aufschlag des Geschosses, noch fällt er um, aber ein weiterer Hund ist tot. Zé steht jetzt dicht vor dem dornigen Gestrüpp und sieht den gelben Körper des Tieres mit den schwarzen Rosetten direkt vor sich, unmöglich sie zu verfehlen – viermal hintereinander drückt der ab, dann ist die Trommel leer. Und er traut seinen Augen nicht: Der Jaguar erhebt sich und schleicht knurrend davon, während alle seine sechs Hunde tot herumliegen, seinem geliebten Leithund Leão hat der Jaguar den Bauch aufgeschlitzt. Voller Grimm lädt er seinen Revolver neu und läuft ein Stück in die Richtung, in der das angeschossene Raubtier sich davongeschlichen hat – es muss angeschossen sein, und Zé Bento sucht nach Blutspuren am Boden und an den welken Blättern, aber er findet keine.
Dann kehrt er um und läuft zu der Stelle zurück, an der er sein Pferd gelassen hat – unterwegs begegnet er wieder jenen dunklen Schatten – zornig hebt er seinen Revolver und schreit, dass er schiessen werde, wenn sich die Gestalt nicht zu erkennen gäbe. Nachdem er ein paar weitere Schritte getan hat, sieht er ein paar Meter vor sich ein grosses, dunkles Tier – es steht still und schaut ihn an, ist behaart und hat spitze Ohren und grosse Augen – es scharrt mit den Füssen auf dem Boden, so als wollte es ihn angreifen. Völlig verwirrt durch das Geschehen mit dem Jaguar zieht Zé Bento seinen Revolver und gibt alle sechs Schüsse auf das bedrohliche Tier ab, das sofort umfällt. Vorsichtig nähert er sich dem toten Tier, und der Schock lässt ihn taumeln – er hat eben sein Pferd erschossen, eins der besten und beliebtesten Tiere der Fazenda.
Zé Bento fängt an zu rennen und erreicht sein Haus in einem Schockzustand – über und über verdreckt und von Kopf bis Fuss von Dornen zerschlissen, den Revolver in der Hand, sagt er kein Wort, sondern schliesst sich in seinem Zimmer ein. Und dort bleibt er den Rest des Tages – seine Mahlzeiten nimmt er schweigend ein und reagiert nicht auf Fragen – erst nach vielen Wochen des Schweigens entschliesst er sich, mit seiner Frau und den Söhnen über das Erlebte zu reden…
Zé Bento nahm nie mehr einen Revolver in die Hand. Er starb zu Beginn der 1970er Jahre, niedergestreckt von einer Tuberkulose. Sein Leben war geprägt vom Stolz und Respekt seiner Familie und seiner Freunde, die seine Pantanal-Abenteuer kannten und weitererzählten.
Die Peões jener Fazenda sind vollkommen davon überzeugt, dass es der “Pai do mato“ gewesen ist, mit dem Zé Bento auf der Jagd zusammenstiess, und der diese ganze Verwirrung im seinem Kopf verursacht hat. Und sie würden niemals an einem “heiligen Feiertag“ weder jagen noch fischen.
Nachdem Zé Pedro die Geschichte seines Vaters zu Ende erzählt hatte, erhob er sich langsam, zog ein grosses Messer aus der Scheide in seinem Gürtel, machte ein paar Schritte zum Feuer und schnitt sich ein Stück Fleisch von einem der grossen Spiesse ab, und prüfte dann mit seinen Zähnen dessen Konsistenz. Er schnitt ein weiteres Stück ab, kam zurück und reichte es mir – wir kauten, und dann fragte er: “Cláudio, (so nennen sie mich im Pantanal), hast du eine Taschenlampe dabei“? Ich antwortete, dass ich nachts nie ohne Taschenlampe durchs Gras laufe, denn es könnten ja “Jararacas“ unterwegs sein (nachtaktive Giftschlangen). “Dann komm mit, ich möchte dir etwas zeigen“!
Er führte mich hinter das Wohngebäude und dann weitere zweihundert Meter bis zum Rand eines kleinen Wäldchens. Unter einem Ipê-Baum erblickte ich einen gepflegten Erdhügel, begrenzt von Gras, mit einem schon sehr alten Kreuz aus Aroeira-Holz und ein paar niedergebrannten Kerzen. Nach einem kurzen Moment des Schweigens sagte mein Freund: “Hier ist mein Vater Zé Bento begraben, Cláudio“!
Ich wundere mich stets, wenn ich beobachte, wie die Pantaneiros ihren Aberglauben immer noch so absolut wörtlich nehmen. Auf den Fazendas treffe ich immer wieder auf Leute, die eine Geschichte erzählen, in der ihr Aberglaube die zentrale Rolle spielt. Der indigene und afrikanische Einfluss hat viel zur Verbreitung der mystischen Ereignisse beigetagen, in der stets die Natur den Hintergrund abgibt. Alle, die auf jenen antiken Fazendas arbeiten, die einst von Sklaven bewirtschaftet wurden, haben solche Geschichten auf Lager – sie hören Stimmen aus den antiken “Senzalas“ (Sklaven-Quartiere), das Klatschen von Peitschenhieben, die Schreie der Sklaven, die ausgepeitscht wurden, das Scheppern von Töpfen, die auf den Boden fallen – und sie erzählen von Pferden, deren Mähnen und Schwänze ineinander verflochten sind, wenn sie morgens erwachen.
Dieser ganze Mystizismus bereichert die regionale Folklore und bewirkt, dass unsere Vorstellungskraft sich für ein paar Momente in einer Welt der Illusion verliert, wo das Unmögliche sich als möglich erweist, und wo der Aberglaube in den Köpfen derer, die erzählen und jener, die zuhören, sich in eine fantastische Realität verwandelt.
Was wir als Mythologie abtun, daran glauben sie! Was unsere Vernunft ablehnt, das flösst ihnen Furcht und Respekt ein! Das ist unser Pantanal: Ungewöhnlich reich an Natur, Folklore und Mythologie!
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