Die Fortpflanzung
Die Paarung des Wasserschweins erfolgt auf Initiative des männlichen Anführers der Gruppe, der ein Weibchen zunächst an Land und später im Wasser verfolgt – die Kopulation findet im seichten Wasser statt. Nur das Alpha-Männchen paart sich mit den Weibchen der Gruppe. Die sind das ganze Jahr über paarungsbereit, wobei die meisten Geburten jedoch in der Regenzeit stattfinden. In der Regel bringt das Weibchen nach zirka 110 – 150 Tagen Tragzeit einen Wurf pro Jahr auf die Welt – manchmal auch zwei, wenn die klimatischen Bedingungen besonders günstig sind.
Ein Wurf besteht aus zwei bis höchstens acht Neugeborenen, die nicht etwa in einem Nest oder einer entsprechenden Höhle geboren werden, sondern irgendwo innerhalb ihres Territoriums auf der nackten Erde. Die Jungen wiegen zirka 1,5 kg bei Geburt, sind schon dicht behaart und haben ein fertig ausgebildetes Gebiss. Schon bald nach ihrer Geburt fangen sie an, neben der Muttermilch auch Gras zu fressen – und nach drei bis vier Monaten sind sie vollkommen selbständig. Geschlechtsreif werden sie nach einem bis anderthalb Jahren.
In freier Wildbahn werden Capybaras zirka acht bis zehn Jahre alt – während sie als “Haustiere“, bei guter Pflege, bis zu 12 Jahre alt werden können.
Nutzen für den Menschen
Capybaras waren für die Eingeborenen Südamerikas stets ein willkommener Fleischlieferant, und für ihre verbliebenen Nachkommen sind sie es noch heute. Von den Indios wird die Jagdbeute bis ins Detail bestens verwertet: Sie verzehren das Fleisch – gekocht, gegrillt oder getrocknet – verarbeiten die Haut zu verschiedenen Utensilien, fertigen aus den grossen Nagezähnen dekorativen Schmuck und nutzen sogar Knochensplitter als Spitzen für ihre Pfeile. Kein Wunder, dass das Capybara auch in der Mythologie der Indios eine Rolle spielt.
Schon immer wurden Capybaras auch von den berittenen “Peões“ (Cowboys der Fazendas) und weissen Siedlern wegen ihres Fleisches gejagt – entweder zum Eigenbedarf oder zum Weiterverkauf auf regionalen Märkten. In Brasilien hat die Naturschutzbehörde IBAMA diesem Treiben jedoch inzwischen einen Riegel vorgeschoben und die Jagd auf Wildtiere generell verboten – unter diesem Schutz stehen auch die Capybaras. Infolgedessen haben sie sich so stark vermehrt, dass sie in grösseren Gruppen bereits an der Peripherie der Städte auftreten und vor allem der Landwirtschaft erheblichen Schaden zufügen. Auch den Viehzüchtern sind sie ein Dorn im Auge, da sie die Capybaras als Konkurrenten ihrer Herden ansehen, die ihrem Vieh “das Gras stehlen“.
Vorwiegend in Argentinien wird das hellbraune Leder aus der gegerbten Capybara-Haut hoch geschätzt. Man fertigt daraus Pferdesättel und Zaumzeug, aber auch Lederjacken, Gürtel und Handschuhe. Und im Interior Brasiliens findet das aus dem Capybara-Fett gewonnene Öl auch therapeutische Anwendung – es soll die verschiedensten Krankheiten heilen, besonders wenn man daran glaubt. Tatsache ist, dass das Fleisch dieser Tiere mehr ungesättigte Omega-3 Fettsäuren enthält als irgendein anderes Nahrungsmittel – das haben wissenschaftliche Tests bewiesen.
Jedoch hat das Capybara-Fleisch nicht in allen Küchen des brasilianischen Interiors Einzug gefunden – den Einen riecht es zu streng, die Andern sind überzeugt davon, dass es Hautkrankheiten provoziert. Die Venezuelaner dagegen beschreiben es als Delikatesse –ihnen ist es in jedweder Zubereitung willkommen, ob gekocht, gegrillt, gepökelt oder getrocknet. Argentinier und Uruguayer wiederum lieben die aus dem Fleisch produzierten Capybara-Würste, und haben sich als Pioniere in der kommerziellen Capybara-Zucht bereits einen Namen gemacht.
Vorsicht Ansteckungsgefahr!
Die von der brasilianischen Naturschutzbehörde IBAMA verordneten Schutzmassnahmen aller Wildtiere haben, wie bereits erwähnt, dazu geführt, dass sich die Capybaras enorm vermehrten, und zwar in manchen Regionen so stark, dass sie sogar in die Parks der Grossstädte eingedrungen sind, wo sie sich auf den Liegewiesen um Teiche und Seen lagern – sie werden tatsächlich zu einer Plage – und zu einer ernsten Gefahr: Capybaras sind nämlich die bevorzugten “Wirte“ einer Schildzecke (Amblyomma cajennense), die durch ihren Biss eine Bakterie (Rickettsia rickettsii) überträgt, die das “Rocky-Mountain-Fleckfieber“ auslöst – so genannt, weil es in den USA zuerst beobachtet wurde – in anderen Ländern spricht man vom “Fleckentyphus“ oder in Brasilien vom “Febre maculosa“ (Fleckfieber) – einer Krankheit, die ohne professionelle Behandlung tödlich verlaufen kann. Veterinärmedizinische Untersuchungen in Brasilien haben ergeben, dass ein einziges Capybara-Exemplar auf seiner Haut Hunderte bis Tausende dieser Parasiten mit sich herumträgt.
Das “Fleckfieber“ wird auf den Menschen durch den Biss einer solchen, mit der Bakterie infizierten Zecke, übertragen. Die Erkrankung führt zu Fieber, Muskelschmerzen, Erbrechen und Durchfall, sowie in 70% der Fälle zu roten Flecken auf der Haut, ab dem dritten Tag der Infektion – es kann zu einer Gefühllosigkeit der Gliedmassen kommen und in schweren Fällen zum Tod führen. Im Bundesstaat São Paulo wurden zwischen 1985 und 2007 insgesamt 274 Fälle des Fleckfiebers registriert – 98 davon verliefen tödlich.
Die Präfekturen dieser von Capybaras “heimgesuchten“ Städte müssen sich nun mit der IBAMA ins Benehmen setzen, um die ungebetenen Parkbesetzer entweder umzusiedeln oder abzuschiessen. Damit ist die Arbeit aber noch nicht erledigt, sondern wegen der Zeckengefahr muss das gesamte Parkgelände hinterher sorgfältig desinfiziert werden – eine aufwendige und kostspielige Angelegenheit.
Eine bedrohte Tierart?
Leider bevorzugen Capybaras eben jene vom Menschen für seine Viehzucht angelegten Weiden auch als ihren idealen Lebensraum. Für seine Rinder stellt der Mensch Wasser bereit – er dezimiert die Grosskatzen (die auch natürliche Feinde der Capybaras sind und ihre Ausbreitung eindämmen) mit seinem Jagdgewehr – und die grasenden Rinder haben ihrerseits nichts dagegen, wenn die “Wasserschweine“ zwischen ihnen weiden. Und so haben sie sich in manchen Gebieten fast explosionsartig vermehrt – zwischen 50 bis 300 Exemplare auf einen Quadratkilometer erreicht dort die Capybara-Population.
Andererseits sind sie selten geworden in Ländern, die der Bejagung der Tiere noch keine gesetzlichen Beschränkungen auferlegt haben – das ist zum Beispiel der Fall in Venezuela, wo sie aus kommerziellem Interesse verfolgt werden. In Peru ist die Situation ähnlich – systematische Jagd auf die Tiere hat sie dezimiert. Insgesamt jedoch, im Vergleich mit ihrem riesigen Verbreitungsgebiet, kann man sie durchaus als häufig bezeichnen und muss sie deshalb auch nicht zu den bedrohten Tierarten zählen.
Capybara-Zucht – eine Investition mit garantierter Rendite
Als die Mannschaft des portugiesischen Entdeckers Pedro Álvares Cabral im Jahr 1500 in Brasilien an Land ging, wurde das Capybara von den Indios bereits als Haustier gehalten. Heute gibt es zahlreiche Projekte zu seiner Zucht in Gefangenschaft – zum Zweck der Fleischproduktion und um die Wilderei einzudämmen – jedoch noch wenige praktische Ergebnisse.
Der Trend zu “exotischen Fleischsorten“ erreichte Brasilien in der Mitte der 1980er Jahre. Churrascarias, Restaurants und Fleischerei-Geschäfte der Oberklasse erweiterten ihr Angebot mit dem Fleisch von Tieren, die bis dato kaum in die brasilianische Küche oder auf den Tisch der nationalen Gesellschaft gelangt waren. Eine der ersten Neuheiten dieser Art war das Capybara-Fleisch, welches man hauptsächlich als Rippenstück, Lende oder Filet servierte. Heute beträgt der monatliche Konsum im Land mehr als 35 Tonnen (zirka 1.000 Tiere), und die Metropole São Paulo ist der grösste Konsument. Das Kilo wird mit 25 bis 28 Reais (7,50 – 8,50 Euro) gehandelt. Das Capybara-Fleisch ist weich und hat wenig Kalorien, ist ausserdem eine exzellente Quelle des Vitamin-B-Komplexes – besonders zur Vorbeugung gegen Anämie. Die Qualität des Fleisches wird durch kontrollierte Zucht in Gefangenschaft garantiert, mit ausgewogener Nahrung und einer Schlachtung zum richtigen Zeitpunkt.
Ein Nebenprodukt ist das Fett der Tiere, aus dem man das schon erwähnte Öl extrahiert, das in der kosmetischen und pharmazeutischen Industrie Verwendung findet. Das Leder wird als Rohmaterial für die Herstellung verschiedener Utensilien benutzt – es wird geschätzt wegen seiner Elastizität, seiner Haltbarkeit und Weichheit – ideale Eigenschaften zur Produktion von Mokassins und Handschuhen, besonders jenen, die man zum Golfen oder zum Baseball-Spielen benutzt. Besonders im Ausland bringen diese Häute einen guten Preis – zwischen vier und vierzehn Dollar pro Stück, wenn sie gegerbt sind. Japan ist einer der bedeutendsten Importeure.
Sowohl im Geschmack, seiner Farbe und seiner Textur ist das Capybara-Fleisch von exzellenter Qualität, und in seiner Zusammensetzung besitzt es 24% mehr Protein als Schweinefleisch oder Rindfleisch. Es ist ein mageres Fleisch, mit niedrigem Cholesteringehalt – im Durchschnitt mit nur 4% Fettgehalt, während Schweinefleisch bis zu 22,5% Fett und bestimmte Rindfleischsorten bis zu 27% Fett enthalten können. Und eine weitere Besonderheit dieses Fleisches: Es verliert beim Braten oder Räuchern seinen Feuchtigkeitsgehalt nicht und bleibt dadurch extrem saftig.
Verschiedentlich hört man Stimmen von jenen, die Fleisch von gewilderten Capybaras gegessen haben, dass das Fleisch einen “strengen Geschmack“ habe. Das kommt daher, dass gewilderte Exemplare nicht adäquat ausbluten konnten und die Entnahme der Innereien ohne grosse Umsicht vorgenommen wurde, ausserdem unter prekären, antihygienischen Umständen.
Heutzutage sind die Restaurants der grossen Städte die bedeutendsten Aufkäufer des “Wildprets“, in denen die der Natur zunehmend entfremdete urbane Bevölkerung versucht, ihre Isolation durch den Konsum von alternativen Produkten zu kompensieren – und sie stört sich nicht daran, dass sie für diese Extravaganz viel mehr bezahlen muss, als das bei konventionellen Produkten der Fall wäre.
Der Marktpreis einer “Arroba” (15 kg) Capybara-Fleisch bringt dem Züchter wenigstens viermal soviel ein, wie eine “Arroba“ Rindfleisch – und sechsmal so viel wie Schweinefleisch. Und das Capybara, als ein Pflanzenfresser, und mit seiner hohen Reproduktionsquote, erfordert relativ geringe Produktionskosten, mit denen man lohnende Gewinne erwirtschaften kann.
Übrigens…
…wurde auch ein brasilianischer Nationalpark nach dem “Wasserschwein” benannt – der “Parque Nacional Serra da Capivara”, im Bundesstaat Piauí. Allerdings steht in diesem Park unser Wasser liebendes Nagetier nicht im Mittelpunkt, sondern eine Vielzahl archäologischer Fundstätten, die nicht nur für Brasilien, sondern für die ganze Welt einzigartig sind, und von der UNO zum “Erbe der Menschheit“ erklärt wurden: Während Jahrhunderten sind die Felswände hier von verschiedenen Menschen unterschiedlicher Kulturen bemalt und graviert worden – als älteste Zeugnisse humaner Präsenz sind sie über 10.000 Jahre alt!
Und natürlich gibt es in diesem 100.000 Hektar grossen Park auch interessante Tiere, nämlich 33 bodenständige Säugetierarten, 24 Arten Fledermäuse, 208 Vogelarten, 19 Eidechsen und Leguane, 17 Schlangen und ebenfalls 17 Kröten- und Froschspezies. Und zu welcher Gattung die “Wasserschweine“, bzw. Capybaras, gehören, das wissen Sie ja jetzt.