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Pantanal Kultur » Seite 2

Veröffentlicht am 24. März 2012 - 08:08h

Die besondere Wesensart der Pantanal-Kultur

Über Kultur kann man nicht sprechen, ohne an die besonderen Eigenschaften des Menschen zu denken, an seine unterschiedliche Identität und Veränderlichkeit. Obwohl das Wort Kultur eine ganze Reihe von Bedeutungen haben kann, die je nach Denkweise unterschiedlich ausgelegt werden, betrachten wir sie in diesem Fall einmal aus anthropologischer Sicht, in der die Kultur als Verhaltensweise des Menschen im Umgang mit seiner Umwelt betrachtet wird. Diese Umgangsweise entspringt einem Wissen, das sich der Mensch aus Denken und Handeln im Einklang mit bestimmten moralischen Werten, Glauben und gesellschaftlich anerkannten Normen angeeignet hat, ein Wissen, welches ihm als Parameter für sein interaktives Verhalten dient, das sich in unterschiedlichen Zeiten und Lebensräumen entwickelt hat.

So wie in anderen gesellschaftlichen Kommunen, sind die kulturellen Beziehungen innerhalb der Gesellschaft des Pantanal ebenfalls von Macht und Position geprägt, die auf wirtschaftlichen Faktoren gründen. Nogueira (1990) hebt hervor, dass die “Pantaneira-Kultur, konzentriert auf die Viehzucht, grundsätzlich auf dem kontrastierenden Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beruht – auf der einen Seite der “Patrão“ (Patron, Besitzer der Ranch), der die bürgerlichen Traditionen schätzt und die rustikale Kultur seines “Peão“ (Viehtreiber) anerkennt, der sich spontan auf ein empirisches Wissen und Handeln verlässt, welches ihm in von seinen Vorfahren traditionell mündlich überliefert wurde. Dieser soziokulturelle Kontrast hat seine Wurzeln im Gegensatz zwischen der aquisitiven Macht des Landbesitzers und dem in Arbeit und Lohn stehenden Viehhüter.

Laraia (2001, s.67) schreibt: “die Kultur bestimmt die (An)Sicht des Menschen“. Wenn wir mal als Referenz die Sicht des Touristen und die des “Pantaneiro“ gegenüber dem Pantanal vergleichen würden, kämen wir zu dem Schluss, dass die Region für einen Touristen, wie auch für jedweden anderen Besucher, eine schöne Landschaft darstellt, die Augen und Kameras mit interessanten Bildern und die Freizeit mit entspannenden Momenten füllt.

Für den “Pantaneiro“ hat sie eine besondere Bedeutung, welche noch weit über die Freude an den Naturschönheiten hinausgeht, denn sie ist eine Erweiterung seines gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens. Jedem Detail in diesem ökologischen Ambiente kommt eine spezifische Funktion zu, in der Organisation seiner gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Existenz. Auf diese Weise sind die Flüsse, Lagunen und Savannen, die Hügel und Bergketten, die blühenden Ipês (Bäume), die Brüllaffen mit ihrem Radau, mehr als nur bewundernswerte Elemente der Landschaft – für ihn sind sie Wegweiser und Gradmesser, die ihm helfen, sich zu orientieren und den jeweiligen Zustand seiner Umwelt beurteilen zu können.

Die Art und Weise, die Welt zu betrachten, ist von einem Volk zum andern, von Region zu Region, von Ort zu Ort, verschieden. Alle Menschen interagieren mit dem Ambiente, in dem sie leben, aber sie tun es nicht auf dieselbe Art und Weise – und dieser Austausch von Erfahrungen bereichert das Wissen der Menschheit. Die menschlichen Kommunen überleben mittels Tausch, der Zirkulation und dem Konsum von symbolischen Gütern, durch die sie sich von einander abgrenzen und sich identifizieren.

Was die Kultur betrifft, so stelle man sich einen Prozess vor, der seit vielen Jahren oder seit vielen Jahrhunderten gewachsen und geschliffen, von einer Generation zur andern weitergegeben wird – mit vielen Veränderungen, bestimmt von eigenen innovativen Konditionen, denen sich die einzelnen Gruppen unterwerfen, sowie durch Einflüsse anderer Kulturen. Diese Einflüsse werden durch sozio-ökonomische Veränderungen ausgelöst, durch eine technologische Weiterentwicklung, durch grössere oder kleinere Möglichkeiten der Information und durch die weltumspannenden Mediennetze der Menschheit.

Diese Netze verdichten sich in der gegenwärtigen Periode der Menschheit, einige nennen sie “Post-Moderne“ – sie leiten ein turbulentes Klima und eine Hyperkomplexität ein, in denen sich Kultur und Technologie mit Schnelligkeit, Simultaneität und Fragmentierung des menschlichen Wesens vereinen und so ein neues Szenario schaffen, in dem sich die Werte kontinuierlich neu redimensionieren.

Obwohl man die Traditionen als Instrumente der Fortführung von gelebten und geteilten Erfahrungen ansehen kann, werden sie doch nicht unverändert an eine nachfolgende Generation weitergegeben. Nach Meinung von Cuéllar (1997, s.108) sind Innovation und Tradition keine gegensätzlichen Faktoren, zumal die Tradition “im Lauf der Generationen in einem unendlichen Prozess der Erfindung, Eliminierung und Veränderung anderer Kulturen evaluiert“. Auf der anderen Seite muss eine Tradition nicht immer so alt sein, wie wir meinen “Oft sind “Traditionen“, die uns antik erscheinen, eigentlich neu, wenn nicht sogar erfunden“.

Heutzutage kann man im Pantanal die Anstrengungen und Ausdauer einiger Fazendeiros (Viehzüchter) beobachten, bestimmte Traditionen zu erhalten, besonders jene, die mit den Festen zu Ehren der Schutzheiligen ihres Grundbesitzes zutun haben, oder Daten von grossem sentimentalem Wert für die lokalen Familien betreffen. In der Regel sind solche Feste Teil wiederbelebter Traditionen, in der Absicht, sie den Konditionen des gegenwärtigen Lebens anzupassen, und die Reste der urbanen Kultur mit der ländlichen zu verquicken.

Der ausgeprägte Sinn der Bewohner für grossartige Feste zeigt sich an den Tagen ihrer Schutzheiligen oder dem Geburtstag des Fazendeiro – Motiv für die Organisation von Festen, die in der Erinnerung vieler Familien haften, deren Nachkommen sie weiterhin pflegen. Vor allem die so genannten “Überraschungen“ sind unvergessen. Dazu vereinigten sich alle Nachbarn an einem vorher abgesprochenen Ort – zum Beispiel einer zentral gelegenen Fazenda – und dann fuhren von dort Dutzende von Kutschen, manchmal begleitet von mehr als einhundert Reitern, in Richtung der Fazenda des Jubilars los – um bei Ankunft in später Nacht alle auf einmal ihre Revolver und Flinten zur Begrüssung zu entladen – ein ohrenbetäubender Lärm zu Ehren des Geburtstagskindes.

Nachdem nun ein paar Aspekte erwähnt wurden von dem, was man heutzutage unter Kultur und Tradition versteht, ist es wahrscheinlich leichter mit dem umzugehen, was man die Pantaneira-Kultur nennen kann – das heisst, eine Art und Weise jene Realität zu leben, die sich alltäglich, fast in der Stille, entwickelt, “in der Bewegung des Kommens und Gehens vom Haus ins Feld, das stellt den Lebenskampf des Pantaneiro dar“ (DORSA, 2006, s.144). Heutzutage, im Lauf der Veränderungen, die von einer globalen Ordnung diktiert werden, hat sich das “Kommen und Gehen“ des Fazendeiro mehr zur Stadt hin ausgerichtet, wo er präsent sein muss, um die Unregelmässigkeiten des Finanzmarktes zu begleiten, die sich in der Wirtschaft seiner Region spiegeln und die Neuorganisation des Produktionssystems in einem unsicheren Wettbewerbsklima bestimmen.

Capra (2002) zieht die Tatsache in Betracht, dass die Kultur “durch die humanen Kommunikationsnetze geschaffen und erhalten wird“, folglich es unmöglich ist, dass die Transformation der Kommunikationsmethoden jener Netze keine zahlreichen Veränderungen provozieren. Wer durchs Pantanal reist und mit den “Pantaneiros“ spricht, wird schnell den Einfluss konstatieren, den besonders das Fernsehen hat, von dem die Bewohner einiger Fazendas mit der globalen Kultur in Berührung kommen, es stimuliert sie zu urbanen Verhaltensweisen, die Veränderungen in der Lebensweise der “Pantaneiros“ beschleunigen.

Diese Veränderungen brechen mit der traditionellen Routine und den gesellschaftlichen Praktiken und tragen dazu bei, die Tendenz der Entcharakterisierung des Pantanal voranzutreiben. Sein historisch-geografisches Image, das Rosa (2005) als “die magische Potenz der Rinderkultur“ beschreibt, ist im monumentalen Werk des Malers Humberto Espindola treffend dargestellt, so wie es in der Vorstellung der lokalen Bevölkerung noch lange weiterleben wird.